Arten des Denkens kann man das Erwarten, Fürchten, Hoffen, Glauben usw. nennen. Man könnte nun vor allem die Frage stellen: wie paßt die Erfüllung der Erwartung mit der Erwartung zusammen? Denn die Erfüllung der Erwartung soll ja die Erwartung befriedigen, und es scheint also als müßten die beiden in irgendeinem Sinn zusammenpassen. Da fällt uns gleich das Bild von der Hohlform und der Vollform ein. Wie muß die Vollform beschaffen sein, damit sie in die Hohlform paßt? Eine Beschreibung muß für beide gelten (dies ist die Antwort). Vergleichen wir damit die Frage: “Welche Farbe muß ein Rock haben, damit er zu einer grauen Hose paßt?” Die Antwort auf diese Frage ist ein Satz der Erfahrung, die Antwort auf die erste nicht. Die Aussage, der Körper, welcher in einen Hohlzylinder paßt, ist ein Vollzylinder,
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muß als Satz der Grammatik verstanden werden, als Erklärung des Wortes “passen” und des Wortes “Vollzylinder”. Wie weiß denn er, was er erwartet? Beobachtet er sein Benehmen und vermutet daraus, daß er wohl Herrn N. zu Tisch erwartet? Wenn wir sagen, er muß doch wissen, ob er ihn erwartet, so verhält es sich mit diesem Satz ähnlich, wie mit dem, er muß doch das Motiv seiner Tat wissen. Man fragt mich: “Warum löschst du das Licht in deinem Zimmer aus?” Ich sage: “Weil ich schlafengehen will.” Man sagt: “Bist du sicher?” Und ich antworte: “Ich muß doch wissen, warum ich es tue.” Diese Sicherheit deutet darauf hin, daß hier die Angabe des Motivs das Kriterium des Motivs ist. Wenn er in diesem Sinn das Motiv kennt, so kennt er einen Ausdruck des Motivs. Was das Motiv sei, kann man dadurch untersuchen, daß man fragt: “Woran erinnert man sich, wenn man sich an das Motiv erinnert, warum man etwas getan hat?” Hier gibt es sehr verschiedene Fälle. Aber eine große Gruppe von Fällen ist jedenfalls die, in denen man sich an Gedanken erinnert, die man bei oder vor der Handlung hatte. Ist man z.B. ins Wasser gegangen, weil es einem zu heiß war und man erinnert sich des Motivs, so kann man sich daran erinnern, gesagt zu haben: “Jetzt ist's mir aber zu heiß, ich muß ins Wasser gehn.” Oder: “Im Wasser wird es angenehmer sein.” U.s.w. usw. Man kann sich das still oder laut gesagt haben oder es einem anderen gesagt haben. Man wird aber auch dann die Hitze als das Motiv des Badens annehmen, wenn kein Gedanke ausgesprochen wurde und nur etwa gewisse Gefühle dem Bade vorangegangen sind und andere es begleitet haben. Nun aber sind wir versucht, zu glauben, daß allen diesen Vorgängen etwas gemeinsam sein muß, welches uns eben dazu berechtigt, zu sagen, wir hätten gebadet, weil es heiß war. Es ist nun eine sehr charakteristische Situation, in der wir der Grammatik gegenüber sind, daß wir hier einerseits geneigt sind, einen solchen unbekannten, allen diesen Situationen gemeinsamen Vorgang anzunehmen und uns andererseits doch gestehen müssen, daß wir keinen solchen kennen. Der Grund hierzu ist aber eine alte und primitive Auffassung des Sprachgebrauchs, welche annimmt, daß dem gemeinsamen Ausdruck ein gemeinsamer Bestandteil entsprechen müsse. Wir haben es hier in der gleichen Weise mit einer primitiven Auffassung der Sprache zu tun, wie wenn wir für jedes Substantiv einen Gegenstand suchen, den es bezeichnet oder auch, wenn wir glauben, eine Eigenschaft sei immer ein Bestandteil des Gegenstandes, der sie habe und der Gegenstand also eine Mischung dieser Eigenschaften mit anderen, so daß es Sinn erhielte, zu sagen: wie schön muß die reine Schönheit sein, wenn sie von den übrigen Eigenschaften abgetrennt ist, gleichsam unverdünnt! Solche primitiven Anschauungen
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sind die Wurzeln aller unserer philosophischen Beunruhigungen, und sie sitzen viel tiefer, als man glaubt. ¤