39˙2
 
172.
381
      “Im visuellen Raum gehen keine Lichtstrahlen von einem Objekt zu einem Auge.” – Wenn ich das sage, so habe ich doch förmlich ein Bild von dieser Tatsache. Und ich
– 47 –
habe ein Bild vom visuellen Raum, ein anderes vom physikalischen Raum. Die Bilder aber sind die, zweier verschiedener Räumlichkeiten. Im einen ist der leere Raum gleichsam von Konstruktionslin[e|i]en durchzogen; im andern ist er im strengen Sinne leer – gleichsam dunkel. (Und diese Worte selbst beschreiben nicht sowohl die beiden Bilder, sondern gehören selbst zu diesen Bildern.)
      Erinnere dich nun daran, daß wir in unserm Satz etwas über die ‘Natur’ des visuellen Raumes ausgesagt, – aber dadurch von dem Ausdruck “der visuelle Raum” noch keinen praktischen Gebrauch gemacht haben. Wie wollen wir den Ausdruck nun anwenden? Wohl bei der Mitteilung des subjektiven Gesichtseindrucks: z.B. in einem psychologischen Experiment. Wir sagen etwa: “In meinem visuellen Raum stehen Gegenstände in folgender Anordnung: …”
      Und statt “in meinem visuellen Raum” kann man einfach sagenim visuellen Raum” sagen, und das besitzanzeigende Fürwort durch die Praxis der Anwendung des Ausdrucks ausscheiden. Es ist leicht, sich die Regeln einer solchen Anwendung auszudenken. – Und wenn sich wem sich diese Darstellungsart (aus irgend welchen Gründen) aufdrängt, der wird geneigt sein, zu sagen: es gibt nicht ‘meinen’ und ‘seinen’ Gesichtsraum; es gibt nur den Gesichtsraum.
      Denken wir an Beschreibung eines Bildes. Es sei ein Landschaftsbild; zwei Formen der Beschreibung sind möglich. In der einen heißt es: Die Abendsonne beleuchtet die Gipfel der Berge … die Bäume werfen lange Schatten … i[n|m] See spiegeln sich die Wolken, etc.. In der andern: Die Sonne ist knapp über dem Horizont … die Gipfel der Berge sind hell … die Bäume haben lange
– 48 –
Schlagschatten … im See sieht man blauen Himmel und W[i|o]lken, etc..
      (Vielleicht wird man sagen, die erste Art der Beschreibung sei nur dort anzuwenden, wo die Lichter und Schatten, etc. wirklich im Bild motiviert seien. So ist es aber nicht. Wäre z.B. an einer Stelle des Bildes eine unmotivierte Helligkeit, so könnten wir einfach sagen “Von einer unsichtbaren Quelle fällt Licht auf …”)
      Wenn nun Einer sagte: “In dem Raum eines Bildes fällt kein Licht von einem Gegenstand auf einen andern” – was könnte er mit dieser Aussage wollen? Ist es nicht eine besondere Betrachtungsweise, die er uns vorhält? Der Satz ist zeitlos; ich will nicht sagen “Im Bildraum fällt nie Licht … ”, noch “Die Erfahrung lehrt … ”, sondern: es ist im Wesen des Bildraumes.
      Man könnte den Satz aber auch so verwenden: “Es nützt nichts, daß du die Sonne auf diesem Bild noch heller malst, die Berge werden dadurch nicht heller.”
      Die Betrachtungsweise, die uns vorgehalten wurde, ist etwa die: Auch im Bilde gibt es ein Rechts und Links, ein Vorn und Hinten, und räumliche Gegenstände; sie sind hier hell, hier dunkel; aber es gibt nicht die (uns wohlbekannten) kausalen Zusammenhänge zwischen den Helligkeiten und Dunkelheiten. – Eine Analogie wird also hervorgehoben, eine andere unterdrückt. Der Ausdruck “im Bildraum fällt kein Licht etc.” zieht uns aber in anderer Richtung, (setzt uns auf ein anderes Denkgeleise). Wir stellen uns eine physikalische Räumlichkeit vor, in der die Gegenstände eine magische Helligkeit besitzen, und nicht auf einander durch ihre Helligkeit wirken.
      Wenn Einer sagt “Im Gesichtsraum gehen keine Lichtstrahlen … ” – so weiß ich zunächst noch nicht sicher,
– 49 –
wie er diese Aussage verwenden will. Er könnte ja z.B. fortfahren: “ich will damit sagen, daß nicht in allen Fällen, in denen gesehen wird, mit dem Auge gesehen wird.”
      Aber ich kann den Satz wohl am besten so erklären: “Im Gesichtsraum gehen Strahlen von da dorthin” heiße, es ziehen leuchtende Linien durch den Raum; wo solche nicht zu sehen sind, wo (wie man auch sagen kann) solche im Gesichtsraum nicht vorhanden sind, spreche man nicht von ‘Strahlen im Gesichtsraum’.
      Ich will zeigen, wie leicht es ist, durch natürliche Übergänge // durch natürlich sich uns darbietende Übergänge // von einer Darst[a|e]llungsweise zur andern zu einem Satz zu gelangen, der ganz den Charakter einer Aussage über eine fremdartige Welt trägt; und der uns doch nur ein fr[a|e]mdartiges Bild vorhält zur Darstellung wohlvertrauter Dinge.

64