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      “Aber wenn nun Einer sagt “Bring mir eine Platte!”, so scheint es ja jetzt, als könnte er diesen Ausdruck als ein langes Wort meinen: entsprechend nämlich dem einen Worte ‘Platte!’”‒ ‒ Kann man ihn also einmal als ein Wort, einmal als vier Wörter meinen? Und wie meint man ihn gewöhnlich? ‒ ‒ Ich glaube, wir werden geneigt sein, zu sagen: wir meinen den Satz als einen von vier Wörtern, wenn wir ihn im Gegensatz zu andern Sätzen gebrauchen, wie “Reich mir eine Platte zu”, “Bring ihm eine Platte”, “Bring zwei Platten”, etc.; also im Gegensatz zu Sätzen, welche die Wörter unseres Befehls in andern Verbindungen entfhalten. ‒ ‒ Aber worin besteht es, einen Satz im Gegensatz zu andern Sätzen gebrauchen? Schweben einem dabei etwa diese Sätze vor? Und alle alle? Und während man den einen Satz sagt, oder vor-, oder nachher? – Nein! Wenn auch so eine Erklärung einige Versuchung für uns hat, so brauchen wir doch nur einen Augenblick zu bedenken, was wirklich geschieht, um zu sehen, daß wir hier auf falschem Weg sind. Wir sagen, wir gebrauchen den Befehl im Gegensatz zu andern Sätzen, weil| unsere Sprache die Möglichkeit dieser andern Sätze enthält. Wer unsere Sprache nicht versteht, ein Ausländer, der öfter gehört hätte,
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wie jemand den Befehl gibt “Bring mir eine Platte!”, könnte der Meinung sein, diese ganze Lautreihe sei ein Wort und entspräche etwa dem Wort für “Baustein” in seiner Sprache. Wenn er selbst dann diesen Befehl gegeben hätte, würde er ihn vielleicht anders aussprechen, und wir würden sagen: Er spricht ihn so sonderbar aus, weil er ihn für ein Wort hält. – Aber geht also nicht, wenn er ihn ausspricht, eben auch etwas anderes in ihm vor,– dem entsprechend, daß er den Satz als ein Wort auffaßt? ‒ ‒ Es kann das Gleiche in ihm vorgehen, oder auch anderes. Was geht denn in dir vor, wenn du so einen Befehl gibst; bist du dir bewußt, daß er aus aus vier Wörtern besteht, während du ihn aussprichst? Freilich, du beherrscht diese Sprache – in der es auch jene andern Sätze gibt– aber ist dieses Beherrschen etwas, was geschieht, während du den Sˇatz ausspricht? – Und ich habe ja zugegeben: der Fremde wird den Satz, den er anders auffaßt, wahrscheinlich anders aussprechen; aber, was wir die falsche Auffassung nennen, muß nicht in irgend etwas liegen, was das Aussprechen des Satzes ˇBefehls begleitet.
      ‘Elliptisch’ ist der Satz nicht, weil er etwas ausläßt, was wir meinen, wenn wir ihn aussprechen, sondern weil er gekürzt ist im Vergleich mit einem bestimmten Vorbild unserer Gramˇmatik. – Man könnte hier freilich den Einwand machen: “Du gibst zu, daß der verkürzte und der unverkürzte Satz den gleichen Sinn haben. – Welchen Sinn haben sie also? Gibt es denn für diesen Sinn nicht einen Wortausdruck?”‒ ‒ Aber besteht
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der gleiche Sinn der Sätze nicht in ihrer gleichen Verwendung? – (Im Russischen heißt es “Stein rot”, statt “der Stein ist rot”; geht ihnen di[|e] Kopula im Sinn ab, oder denken sie sich die Kopula dazu?)