165.
Aber lesen – möchten wir sagen – ist doch ein ganz
bestimmter Vorgang! Lies eine Druckseite, dann kannst du's
sehen; es geht da etwas Besonderes vor und etwas höchst Charakteristisches. ‒ ‒ Nun, was geht denn vor, wenn ich den Druck
lese? Ich sehe gedruckte Wörter und spreche Wörter aus. Aber
das
ˇist natürlich nicht alles; denn ich könnte gedruckte Wörter
sehen und Wörter aussprechen und es wäre doch nicht Lesen.
Auch dann nicht, wenn die Wörter, die ich spreche, die sind,
die man, zufolge einem bestehenden Alphabet
h, von jenen gedruckten ablesen
soll. – Und wenn du sagst, das Lesen
sei ein bestimmtes Erlebnis, so spielt es ja gar keine Rolle,
ob du nach einer von Menschen allgemein anerkannten Regel des
Alphabet
hs liest, oder nicht. – Worin besteht also das Charakteristische am Erlebnis des Lesens? – Da möchte ich sagen:
“Die Worte, die ich ausspreche,
kommen in besonderer
Weise.” Nämlich sie kommen nicht so, wie sie kämen, wenn ich
sie z.B. ersänne. – Sie kommen von selbst. – Aber auch das ist nicht genug; Denn es können mir ja Wortklänge
einfallen, während ich auf die gedruckten Worte schaue, und ich
habe damit diese doch nicht gelesen. – Da könnte ich noch sagen,
daß mir die gesprochenen Wörter auch nicht so einfallen, als
erinnerte
ich mich, z.B., etwas an sie. Ich möchte z.B. nicht
sagen: das Druckwort “nichts” erinnert mich immer an den
Laut “nichts”. – Sondern die gesprochenen
schlüpfen beim
Lesen gleichsam herein. Ja, ich kann ein deutsches gedrucktes
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Wort gar nicht ansehen, ohne einen eigentümlichen Vorgang des innern Hörens des Wortklangs.