Wenn wir sagen möchten, die Unendlichkeit ist eine Eigenschaft der Möglichkeit, nicht der Wirklichkeit, oder: das Wort “unendlich” gehöre immer zum Wort “möglich”, und dergleichen, – so kommt das darauf hinaus, zu sagen: das Wort “unendlich” sei immer ein Teil einer Regel.
     Wir wehren uns gegen die Auffassung des Unendlichen, als einer ungeheuern Größe. (Die wir merkwürdigerweise ohne Schwierigkeit erfassen, während eine große endliche Zahl zu groß sein kann, um von uns hingeschrieben zu werden. Gleichsam, als könnten wir uns zwar durch die Reihe der endlichen Zahlen nicht durcharbeiten, aber wohl von außen herum zum Unendlichen gelangen.)
     Denken wir uns, wir erzählten jemandem: “gestern kaufte ich mir ein Lineal mit unendlichen Krümmungsradius”. Aber hier kommt doch das Wort “unendlich” in einer Beschreibung der Wirklichkeit vor. – Aber ich kann doch nie die Erfahrung haben, die mich berechtigte zu sagen, daß das Lineal wirklich den Radius unendlich hat, da der Radius 100¹⁰⁰km es gewiß auch schon tut. – Wohl, aber dann kann ich eben auch nicht die Erfahrung haben, die mich berechtigt, zu sagen, das Lineal sei gerade. Und die Worte “gerade” (oder ein andermal “parallel”) und “unendlich” sind im gleichen Fall. Ich meine: Wenn das Wort “gerade”, oder “parallel”, oder “längengleich”, etc. etc. in einem Erfahrungssatz || in einer Beschreibung der Wirklichkeit stehn darf, dann auch das Wort “unendlich”.
     “Unendlich ist nur die Möglichkeit” heißt “‘unendlich’ ist ein Zusatz zu ‘u.s.w.’”. Und soweit es dies ist, gehört es in eine Regel, ein
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Gesetz. In die Beschreibung der Erfahrung gehört es nur soweit nicht, als man unter “Erfahrung, die einem Gesetz entspricht” eine endlose Reihe von Erfahrungen meint. – Das Wort “unendlich ist nur die Möglichkeit, nicht die Wirklichkeit” ist irreleitend. Man kann sagen: “unendlich ist hier nur die Möglichkeit”. – Und man fragt mit Recht: Was ist denn an dieser Hypothese (vom Lauf des Kometen z.B.) unendlich? ist an dieser Annahme, an diesem Gedanken, etwas ungeheuer groß?!
     Denken wir uns, die Fee im Märchen sagte: “Du wirst so viel Goldstücke erhalten, als Du Dir wünscht, aber Du darfst nur einmal wünschen”. – Ist ihr Versprechen nicht erfüllt, wenn ich kriege, was ich mir wünsche? Und war meine Wahl nicht unbeschränkt? Wäre der Fall nicht eine anderer gewesen, wenn sie dem Betrag eine Grenze gesetzt hätte, – wie weit immer sie sie auch gezogen hätte? || … sie die Grenze auch gezogen hätte?
     Kann ich nun nicht sagen: die Freiheit, die mir die Fee gelassen hat, war unendlich? Und ist damit eine Wirklichkeit beschrieben? – Wenn nun Einer sagt: “Nein, die Freiheit der Wahl ist nur eine Möglichkeit”, so vermengt er die Aussage: daß mir die Fee eine unendliche Freiheit gelassen hat, – welche || welches keine Regel der Grammatik ist –, mit der Regel, die mir erlaubt, in Übereinstimmung mit dem Versprechen der Fee eine beliebige Zahl von Goldstücken zu nennen.
     Man könnte das auch so sagen: Wenn der Begriff der Unendlichkeit in der Beschreibung der Realität angewendet wird, so ist in solchen Beschreibungen nicht von ‘unendlichen Linealen’ die Rede, sondern etwa von Linealen mit unendlichem Krümmungsradius; und nicht von ‘unendlich vielen Goldstücken’, sondern etwa von der unendlichen Freiheit, die mir Einer läßt, mir Goldstücke zu wünschen.
     Wenn wir sagen: “die Möglichkeit der Bildung von Dezimalstellen in der Division 1 : 3 ist unendlich”, so stellen wir damit keine Naturtatsache fest, sondern geben eine Regel des Kalküls. Sage ich aber: “ich
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lasse Dir die unendliche Freiheit, so viele Stellen zu bilden, als Du willst, ich werde Dich nicht hindern”, so stelle ich damit nicht die Regel eines Kalküls auf, sondern mache eine Vorhersage. Ja, aber doch nur als Beschreibung einer Möglichkeit”. – Nein, einer Wirklichkeit! aber natürlich nicht der von “unendlich vielen Stellen”; das wäre doch gerade der grammatische Fehler || der Unsinn, den wir vermeiden müssen.
     Und es bleibt natürlich in diesen Erfahrungssätzen “unendlich” die Eigenschaft einer Regel, wenn man es so ausdrücken will, und das heißt nichts anderes, als daß es auch hier durch “u.s.w. ad inf.” wiedergegeben werden kann; und zugleich ist das auch alles, was damit gemeint ist, wenn man sagt: die Unendlichkeit sei ein Prädikat der Möglichkeit.