Die Darstellung eines Wunsches ist, eo ipso, die Darstellung seiner Erfüllung.
                   Die Magie aber bringt einen Wunsch zur Darstellung; sie äussert einen Wunsch.
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                   Die Taufe als Waschung. – Ein Irrtum entsteht erst, wenn die Magie wissenschaftlich ausgelegt wird.
                   Wenn die Adoption eines Kindes so vor sich geht, dass die Mutter es durch ihre Kleider zieht, so ist es doch verrückt zu glauben, dass hier ein Irrtum vorliegt und sie glaubt, das Kind geboren zu haben.
                   Von den magischen Operationen sind die zu unterscheiden, die auf einer falschen, zu einfachen, Vorstellung der Dinge und Vorgänge beruhen. Wenn man etwa sagt, die Krankheit ziehe von einem Teil des Körpers in den andern, oder Vorkehrungen trifft, die Krankheit abzuleiten, als wäre sie eine Flüssigkeit oder ein Wärmezustand~. Man macht sich dann also ein falsches, das heisst hier, unzutreffendes Bild.
                   Welche Enge des seelischen Lebens bei Frazer! Daher: Welche Unmöglichkeit, ein anderes Leben zu begreifen, als das englische seiner Zeit!
                   Frazer kann sich keinen Priester vorstellen, der nicht im Grunde ein englischer Parson unserer Zeit ist, mit seiner ganzen Dummheit und Flauheit.
                   Warum sollte dem Menschen sein Name nicht heilig sein können. Ist er doch einerseits das wichtigste Instrument, das ihm gegeben wird, anderseits wie ein Schmuckstück, das ihm bei der Geburt um[heg|geh]angen wird.
                   Wie irreführend die Erklärungen Frazers sind, sieht man – glaube ich – daraus, dass man primitive Gebräuche sehr wohl selbst erdichten könnte und es müsste ein Zufall sein, wenn sie nicht irgendwo wirklich gefunden würden. Das heisst, das Prinzip, nach welchem diese Gebräuche geordnet sin[f|d], ist ein viel allgemeineres als Frazer es erklärt und in unserer eigenen Seele vorhanden, so dass wir uns alle Möglichkeiten selbst ausdenken könnten. – Dass etwa der König eines Stammes für niemanden sichtbar bewahrt wird, können wir uns wohl vorstellen, aber auch, dass jedermann
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Mann des Stammes ihn sehen soll. Das letzterer wird dann gewiss nicht in irgendeiner mehr oder weniger zufälligen Weise geschehen dürfen, sondern er wird den Leuten gezeigt werden. Vielleicht wird ihn niemand berühren dürfen, vielleicht aber jeder berühren müssen. Denken wir daran, dass nach Schubert's Tod sein Bruder Partituren Schubert's in kleine Stücke zerschnitt und seinen Lieblingsschülern solche Stücke von einigen Takten gab. Diese Handl[i|u]ng, als Zeichen der Pietät, ist uns ebens[i|o] verständlich, wie die andere, die Partituren unberührt, niemandem zugänglich, aufzubewahren. Und hätte Schubert's Bruder die Partituren verbrannt, so wäre auch das als Zeichen der Pietät verständlich.
                   Das Zeremonielle (heisse oder kalte) im Gegensatz zum Zufälligen (lauen) charakterisiert die Pietät.
                   Ja, Frazers Erklärungen wären überhaupt keine Erklärungen, wenn sie nicht letzten Endes an eine Neigung in uns selbst appellierten.
                   Das Essen und Trinken ist mit Gefahren verbunden, nicht nur für den Wilden, sondern auch für uns; nichts natürlicher, als dass man sich vor diesen schütz[t|e]n will; und nun könnten wir uns selbst solche Schutzmassnahmen ausdenken. – Aber nach welchem Prinzip denken wir sie uns aus // nach welchem Prinzip erdichten wir sie // ? Offenbar danach, dass alle Gefahren der Form nach auf einige sehr einfache reduziert werden, die dem Menschen ohne weiteres sichtbar sind. Also nach dem selben Prinzip, nach dem die ungebildeten Leute unter uns sagen, die Krankheit ziehe sich vom Kopf in die Brust etc., etc.. In diesen einfachen Bildern wird natürlich die Personifikation eine grosse Rolle spielen, denn, dass Menschen (also Geister) dem Menschen gefährlich werden können, ist un[d|s] // jedem // bekannt.
                   Dass der Schatten des Menschen, der wie ein Mensch ausschaut, oder sein Spiegelbild, dass Regen, Gewitter, die Mondphasen, der Jahreszeitwechsel, die Aehnlichkeit uns Verschiedenheit der Tiere unter einander und zum Menschen, die Erscheinungen des Todes, der Geburt und des Geschlechts-
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lebens, kur[t|z] alles, was der Mensch jahraus jahrein um sich wahrnimmt, in mannigfaltigster Weise mit einander mit verknüpft, in seinem Denken (seiner Philosophie) und seinen Gebräuchen auftreten // eine Rolle spielen // wird, ist selbstverständlich, oder ist eben das, was wir wirklich wissen und interessant ist.