1

     Menschen, die den Begriff ‘morgen’ nicht haben. Sie könnten noch eine recht ausgebildete Sprache haben: verschiedene Befehle, Fragen, Beschreibungen. Könnten wir uns mit ihnen verständigen? – Könnten wir ihnen aber beschreiben wie Menschen das Wort “morgen” gebrauchen, ohne es sie zu lehren? Welchem Zweck könnte die Beschreibung dienen?
     ‘Morgen’ spielt eine so große Rolle, weil für uns der Wechsel von Tag & Nacht so wichtig ist. Wäre er's nicht …


   
     Wollte man eine beiläufige Beschreibung des Spiels mit “morgen” geben, analog einer beiläufigen Beschreibung der Differentialrechnung, so müßte sie viel primitiver sein, & es wäre schwer, sich einen Zweck für sie zu denken.
     Denke aber, welchen Begriff sich Leute vom gekrümmten Raum machen.

   
     Auch wenn das Benehmen eines Menschen an sich sehr regelmäßig ist, ist es uns doch schwer diese Regelmäßigkeit
2
zu lernen, wenn sein Benehmen fremdartig, von unserm abweichend ist. Man sagt dann etwa “Ich kann mich nicht daran gewöhnen, daß er …”. Denk auch, daß der Wunsch die Erwartung erzeugt.

   
     Die Sprache eines, der als Schwachsinniger unter normalen Menschen lebt & von ihnen gepflegt wird. Er kennt vielleicht den Begriff ‘morgen’ nicht.

   
     Operieren mit Begriffen durchsetzt unser
Leben. Ich sehe irgend eine Analogie mit einem sehr allgemeinen Gebrauch von Schlüsseln. Wenn man etwa, um irgend etwas zu bewegen immer ein Schloß zu öffnen hätte.

   
     Kann der Psychologe uns lehren, was Sehen ist? Er lehrt uns den Gebrauch des Wortes “sehen” nicht. Ist “sehen” ein Fachwort der Psychologie? Ist “Hund” ein Fachwort der Zoologie? – Der Psychologe entdeckt vielleicht Unterschiede zwischen Menschen, welche im gewöhnlichen Leben nicht
3
bemerkt werden & sich nur unter den Bedingungen eines Experiments zeigen. Aber Blindheit ist nichts || nicht etwas, was der Psychologe entdeckt.

     Wäre Sehen etwas, was der Psychologe entdeckt hat, so könnte das Wort sehen hier nur eine Form des Verhaltens, eine Fähigkeit so & so zu handeln bedeuten.
Lehrte also der Psychologe “Es gibt Menschen welche sehen”, so müßte er uns nun das Verhalten dieser sehenden Menschen beschreiben können. Damit aber hätte er uns den
Gebrauch der Form “Ich sehe etwas rotes, rundes” z.B. nicht beigebracht, & zwar auch dem Sehenden nicht.

   
     Könnte nicht ein Sehender ganz ohne das Wort “sehen” auskommen? Er sagt etwa “Dort ist …”. Ein normales Kind könnte lange ohne das Wort “sehen” auskommen, aber nicht z.B. ohne die Wörter “rot”, “gelb”, “rund”.

   
     Wenn ich den Verlauf meiner Schmerzen beobachte, welche Sinneseindrücke
4
soll ich gehabt haben, wenn ich nicht beobachtet hätte? Hätte ich nichts gefühlt? oder es mir nur nicht gemerkt?

   
     “Ich hätte es nicht gesehen, wenn ich es nicht beobachtet hätte.”. Worauf beziehen sich die Wörter “es”? Auf das Gleiche?
     “Ich hätte den Schmerz nicht gefühlt, wenn ich den Schmerz nicht beobachtet hätte.”
     Aber man kann doch sagen “Beobachte Deinen Schmerz” & nicht
“Fühle Schmerz!”.


   
     Prüfe: “Die meisten Sessel verdampfen nicht.”
     “Wäre so etwas geschehen, so hätte ich bestimmt davon gehört.”

   
     Freilich kann man auch hier sagen “Es ist immer so gewesen, also wird's auch diesmal so sein:” – aber wie weiß man, daß es immer so war?

   
     Das eine scheint vom andern gestützt, aber keines liegt offenbar dem
5
andern zu Grunde.

   
     Wir sagen “Ohne jeden || allen Zweifel || Selbstverständlich ist es so”, & wissen nicht, wie sehr diese Sicherheit unsre Begriffe bestimmt.
     Wir würden auf die Frage “hat die Erde wirklich schon vor Deiner Geburt existiert” halb ärgerlich & halb verlegen antworten “Ja selbstverständlich!” & uns dabei bewußt sein daß wir einerseits gar nicht im Stande sind Gründe dafür anzugeben, weil es scheinbar zu viele dafür gibt, & anderseits, daß ein Zweifel unmöglich ist,
& der Fragende kann nicht durch eine besondere Belehrung, Erklärung, lernen || man dem Fragenden gar nicht durch eine besondere Belehrung antworten kann sondern indem man ihm nach & nach ein Bild unsrer Welt beibringt. 1

Editorial notes

1) The remaining pages are empty.