Das Überraschende kann in der Mathematik || in der Behandlung || Darlegung || den Darstellungen der Mathematik zweierlei völlig verschiedene Rollen spielen.
     Man kann den Wert einer mathematischen Gedankenreihe darin erblicken, daß sie etwas Überraschendes || etwas uns Überraschendes zutage fördert: weil es von großem Interesse, von großer Wichtigkeit ist, zu sehen, wie ein Sachverhalt durch die und die Art seiner || der Darstellung überraschend, oder paradox, wirkt || wird. || überraschend, oder erstaunlich, oder || ja auch paradox wird || ja paradox wird.
   
     Hievon ganz || aber verschieden ist, die || eine, gegenwärtig gepflogene Darstellungsweise || meines Wissens¤ || heute herrschende || verbreitete, Auffassung der Mathematik, der das Überraschende, das Erstaunliche, darum als Wert gilt, weil es zeige || zeigt, in welche Tiefe die mathematische Untersuchung dringt; wie wir den Wert eines Teleskops daran ermessen können || könnten, daß es uns Dinge zeigt, die wir ohne dieses Instrument nicht hätten ahnen können. Der Mathematiker sagt gleichsam: “Siehst Du, das ist doch wichtig, das hättest Du ohne mich nicht gewußt.” So als wären durch diese Überlegungen, als durch eine Art höheren Experiments, erstaunliche, ja die erstaunlichsten Tatsachen, ans Licht gefördert worden.
     Der Mathematiker aber ist kein Entdecker, sondern ein Erfinder.
   
     “Das ist ein überraschendes Resultat || Ergebnis!” – || Diese || Die Demonstration hat ein überraschendes Resultat. Wenn es Dich überrascht, dann hast Du es noch nicht verstanden. Denn die Überraschung ist hier nicht legitim, wie beim
Ausgang eines Experiments. Da – möchte ich sagen – darfst Du Dich ihrem Reiz hingeben; aber nicht, wenn sie Dir am Ende einer Schlußkette zuteil wird. Denn da ist sie nur ein Zeichen dafür, daß noch Unklarheit, oder ein Mißverständnis herrscht.
     “Aber warum soll ich nicht überrascht sein, daß ich dahin geleitet worden bin?” – Denk Dir Du hättest einen langen algebraischen Ausdruck vor Dir; es sieht zuerst aus, als ließe er sich nicht wesentlich kürzen; dann aber siehst Du eine Möglichkeit der Kürzung und nun geht sie weiter, bis der Ausdruck zu einer kompakten Form zusammenschrumpft. Können wir (hier) nicht über dies Resultat überrascht sein? (Beim Patience-Legen geschieht ähnliches.) Gewiß, und es ist eine angenehme Überraschung; und sie ist von psychologischem Interesse, denn sie zeigt ein Phänomen des Nicht-Überblickens und der Änderung des Aspekts eines gesehenen Komplexes. Es ist interessant, daß man es diesem Komplex nicht immer ansieht, daß er sich so kürzen läßt; ist aber der Weg der Kürzung übersichtlich vor unsern Augen, so verschwindet die Überraschung.
     Wenn man sagt, man sei eben überrascht, daß man dahin geführt worden sei, so ist dies keine ganz richtige Darstellung des Sachverhalts. Denn diese Überraschung hat man doch nur dann, wenn man den Weg noch nicht kennt. Nicht, wenn man ihn ganz vor sich sieht. Daß dieser Weg, den ich ganz vor mir habe, da anfängt, wo er anfängt, und da aufhört, wo er aufhört, das ist keine Überraschung. Die Überraschung und das
Interesse kommen dann sozusagen von außen. Ich meine || : man kann sagen: || , “Diese mathematische Untersuchung hat großes psychologisches Interesse”, oder “großes physikalisches Interesse”.

   
     Ich staune immer wieder bei dieser Wendung des Themas; obwohl ich es unzählige Male gehört habe und es auswendig weiß. Es ist vielleicht sein Sinn, Staunen zu erwecken.
     Was soll es dann heißen, wenn ich sage: ‘Du darfst nicht staunen!’?

     Denke an mathematische Rätselfragen. Sie werden gestellt, weil sie überraschen; das ist ihr ganzer Sinn.
     Ich will (also) sagen: Du sollst nicht glauben, es sei hier etwas verborgen, in das man nicht Einsicht nehmen kann– –als seien wir durch einen unterirdischen Gang gegangen und kämen nun irgendwo ans Licht, ohne aber wissen zu können, wie wir dahin gekommen sind, oder welches die Lage des Anfangspunkts || Anfangs || Eingangs zum Ausgang des Tunnels ist || sei.
     Wie aber konnte man denn überhaupt in dieser Einbildung sein? Was gleicht in der Rechnung einer Bewegung unter der Erde? Was konnte uns denn dieses Bild nahe legen? Ich glaube: daß kein Tageslicht auf diese Schritte fällt; daß wir den Anfangs- und Endpunkt der Rechnung in einem Sinne verstehen, in dem wir den übrigen Gang der Rechnung nicht verstehen.

   
     “Hier ist kein Geheimnis!” – aber wie konnten wir denn glauben, daß eines sei? – Nun, ich bin immer wieder den Weg gegangen und war immer wieder überrascht; und auf den Gedanken, daß man hier etwas verstehen kann, bin ich nicht gekommen. – “Hier ist kein Geheimnis”, heißt also: Schau Dich doch um!

   
     Ist es nicht, als sähe man in einer Rechnung eine Art Kartenaufschlagen? Man hat die Karten gemischt; man weiß nicht, was dabei vor sich ging: aber am Ende lag obenauf der Zehner || diese Karte, und das || dies bedeutet || es kommt Regen.

   
     Unterschied zwischen dem Werfen des Loses und dem Auszählen vor einem Spiel. Könnten aber nicht naive Menschen auch im Ernstfalle statt einen Mann auszulosen sich des Auszählens bedienen?

   
     Was tut der, der uns darauf aufmerksam macht, daß beim Auszählen das Ergebnis abgekartet ist?

   
     Ich will sagen: “Wir haben keinen Überblick über das, was wir gemacht haben, und deshalb kommt es uns geheimnisvoll vor”. Denn nun steht ein Resultat vor uns, und wir wissen nicht mehr, wie wir dazu gekommen sind || es ist uns nicht durchsichtig, aber wir sagen (wir haben
gelernt zu sagen): “also muß es so sein” || “so muß es sein”; und wir nehmen es hin, || und staunen darüber. Könnten wir uns nicht denken, daß ein || : Ein Mensch verschiedene Befehle von der Form “Du mußt jetzt das und das || tun” einzeln auf Karten geschrieben hätte, daß er die Karten dann mischt, und die, welche obenauf zu liegen kommt, liest und sagt || diesen Fall denken: Jemand hat eine Reihe von Befehlen, von der Form “Du mußt jetzt so & so handeln” einzeln auf Karten geschrieben, er || . Er mischt diese Karten, liest die, welche obenauf zu liegen kommt – und er sagt || sagt: Also, ich muß das tun! – Denn das Lesen eines geschriebenen Befehls macht nun einmal einen bestimmten Eindruck, hat eine bestimmte Wirkung. Und ebenso auch das Anlagen bei einer Schlußfolgerung. – Man könnte aber vielleicht den Bann eines solchen Befehls brechen, indem man noch einmal klar vor Augen führt, wie man || Einem || ihm || diesem Menschen noch einmal klar vor Augen führt, wie er zu diesen Worten gelangt || gekommen ist, und diesen Vorgang mit anderen Vorgängen vergleicht, || und, was da geschehen ist, mit andern Fällen vergleicht – indem man z.B. sagt: “Es hat Dir doch niemand den Befehl gegeben!”
     Und ist es nicht auch so, wenn ich sage: “Hier ist kein Geheimnis”? – Er hatte ja, in gewissem Sinne, nicht geglaubt, daß ein Geheimnis vorliegt. Aber er war unter dem Eindruck des Geheimnisses (wie der Andere unter dem Eindruck eines Befehles). In einem Sinne kannte er ja die Situation, aber er verhielt sich zu ihr (im Gefühl und im Handeln) ‘als läge ein andrer Sachverhalt vor’ – wie wir sagen würden.
   
     “Eine Definition führt Dich doch nur wieder einen Schritt zurück, zu etwas anderem nicht Definiertem.” Was sagt uns das? Wußte das irgend jemand nicht? – Nein; aber
konnte er es nicht aus dem Auge verlieren?

   
     Oder: “Wenn Du schreibst
      ‘1, 4, 9, 16, …’, so hast Du nur vier Zahlen angeschrieben, und vier Pünktchen” – worauf machst Du da aufmerksam? Konnte jemand etwas anderes glauben? Man sagt Einem in so einem Falle auch: “Damit hat Du weiter nichts hingeschrieben als vier Zahlzeichen und noch ein fünftes Zeichen, || die Pünktchen”. Ja, wußte er das nicht? Aber kann er nicht doch sagen: Ja wirklich, ich habe die Pünktchen nie als ein weiteres Zeichen in dieser Reihe || Zeichenreihe || als ein mathematisches Zeichen nach dem Zahlzeichen aufgefaßt, – das hier so allerdings so aussieht, wie weitere flüchtig geschriebene Ziffern, aber auch anders geschrieben werden könnte, daß es den Charakter eines Buchstabens oder Zahlzeichens hätte. || sondern als eine Art Andeutung weiterer Zahlzeichen aufgefaßt.


   
     Oder wie ist es, wenn man darauf aufmerksam macht, daß eine Linie im Sinne Euklids eine Farbengrenze ist und nicht ein Strich; und ein Punkt der Schnitt solcher Farbengrenzen und kein Tupfen? (Wie oft ist gesagt worden, daß man sich einen Punkt nicht vorstellen kann.)

   
     Man kann in der Einbildung leben, denken, || daß es sich so und so verhält, ohne es zu glauben; d.h.: wenn man gefragt wird, so weiß man es, hat man aber nicht auf die Frage zu antworten, so weiß man es nicht,
sondern man handelt und denkt dann nach einer andern Ansicht.

   
     Denn eine Ausdrucksform läßt uns so und so handeln. Wenn sie unser Denken beherrscht, so möchten wir trotz aller Einwendungen sagen: “in gewissem Sinne verhält es sich doch so.” Obwohl er gerade auf den ‘gewissen Sinn’ ankommt. (Ähnlich beinahe, wie es uns die Unehrlichkeit eines Menschen bedeutet, wenn wir sagen: er sei kein Dieb.) || (Sieh' || Betrachte doch nur die Technik unserer elenden Zeitungen an!) || Vergiß doch nicht was Dir || Vergessen wir doch nicht was uns … täglich vor Augen ist, || : || die Technik unsrer Zeitungen.