|
Man kann sich leicht eine Sprache denken, in der es keine
Frage-- und keine Befehlsform gibt,
sondern in der Frage und Befehl in
Niemand würde doch von einer Frage (etwa, ob es draussen regnet) sagen, sie sei wahr oder falsch. Es ist freilich deutsch, dies von einem Satz, “ich wünsche zu wissen, ob …”, zu sagen. Wenn nun aber diese Form immer statt der Frage verwendet
|
|
Die grosse Mehrzahl der Sätze, die wir
aussprechen, schreiben und lesen, sind Behauptungssätze.
Und – sagst Du – diese Sätze sind wahr oder falsch. Oder, wie ich auch sagen könnte, mit ihnen wird das Spiel der Wahrheitsfunktionen gespielt. Denn die Behauptung ist nicht etwas, was zu dem Satz hinzutritt, sondern ein wesentlicher Zug des Spiels, das wir mit ihm spielen. Etwa vergleichbar dem [c|C]harakteristikum des Schachspiels, dass es ein Gewinnen und Verlieren dabei gibt, und dass der gewinnt, der dem Andern den König nimmt. Freilich, es könnte ein dem Schach ˇin gewissem Sinne sehr verwandtes Spiel geben, dass es dabei ein Gewinnen und Verlieren gibt, oder die Bedingungen des Gewinnens sind andere. – 247
–
Denke, man sagte: Ein Befehl besteht aus einem Vorschlag (‘Annahme’) und dem Befehlen des Vorgeschlagenen. |
∫ |
Könnte man nicht [a|A]rithmetik treiben, ohne auf den
Gedanken zu kommen, arithmetische Sätze auszusprechen, und
ohne das uns die Ahnlichkeit einer Multiplikation mit
einem Satz je auffiele?
Aber würden wir nicht den Kopf schütteln, wenn Einer uns eine falsch gerechnete Multiplikation zeigte, wie wir er tun, wenn er uns sagt, es regne, wenn es nicht regnet? – Doch; und hier liegt ein Punkt der Anknüpfung. Wir machen aber auch abwehrende Gesten, wenn
Wir sind gewohnt, zu sagen “2 mal 2 ist 4” und das Verbum “ist” macht dies den zum Satz und stellt scheinbar eine nahe Verwandschaft her mit allem, was wir ‘Satz’ nennen. [w|W]ährend es sich nur um eine sehr
|
∫ |
Wo es bei Euklid
heisst: das und das sei zu
konstruieren und am Schluss
“q.e.c.”,
könnte man auch setzen: es sei zu beweisen,
dass das die Konstruktion dieser Figur sei und
am Schluss schreiben
“q.e.d.”, also das Resultat
auf die Form
– 248
– |
|
Gibt es wahre Sätze in Russell's System, die nicht in seinem System zu beweisen
sind? –
Was nennt man denn einem wahren Satz in
Russell's
System? |
|
Was heisst denn, ein Satz ‘ist
wahr’?
p ist wahr =
p.
(dies ist die Antwort.)
Man will also etwa fragen: uUnter welchen Umständen behauptet man einen Satz? oOder: wWie wird die Behauptung des Satzes im Sprachs[t|p]iel gebraucht? Und die “Behauptung des Satzes” ist hier entgegensetzt dem Aussprechen des Satzes etwa als Sprachübung, – oder als Teil eines andern Satzes, u. dergl.. Fragt man also in diesem Sinne: “Unter welchen Umständen behauptet man in Russell's Spiel einen Satz”, so ist die Antwort: Am Ende eines seiner Beweise, oder als ‘Grundgesetz’ (p.p.). Anders werden in diesem System Behauptungssätze in den Russell'schen Symbolen nicht verwendet. |
|
“Kann es aber nicht wahre Sätze geben, die in diesem
Symbolismus angeschrieben sind, aber in dem System
Russell's
nicht beweisbar?” –
‘Wahre Sätze’, das sind also Sätze, die in einem
andern System wahr sind, d.h. in einem
andern Spiel mit Recht behauptet werden können.
Gewiss; warum soll es keine solchen Sätze geben;
oder vielmehr: warum soll man nicht Sätze – der Physik,
z.B. – in
Russell's
Symbolen anschreiben?
Die Frage ist ganz analog der: Kann es wahre – 249 – Sätze in
Euklids Sprache geben, die in seinem System
nicht beweisbar, aber wahr sind? –
Aber es gibt ja sogar Sätze, die in
Euklid's System beweisbar,
aber in einem andern System falsch sind.
Können nicht Dreiecke – in einem andern System – ähnlich
(säeher ähnlich) sein, die nicht
|
|
Ich stelle mir vor, es fragte mich Einer um Rat; er sagt:
“Ich habe einen Satz (ich will ihn
‘P’ b
mit “” bezeichnen) in
Russell's
Symbolen konstruiert, und den kann man durch gewisse Definitionen
und Transformationen so deuten, dass er sagt:
[“|‘]”
P ist nicht in
Russell's
System beweisbar. // auch in der
Form aussprechen: ‘P ist (in
Russell's
System) nicht beweisbar’ //
Muss ich nun von diesem Satz nicht sagen:
einerseits, er sei wahr,
andererseits
er sei unbeweisbar?
Denn angenommen, er wäre falsch, so ist es also wahr,
dass er beweisbar ist!
Und das kann doch nicht sein.
Und ist er bewiesen, so ist bewiesen, dass er nicht
beweisbar ist!
So kann er also nur wahr, aber unbeweisbar sein.”
So wie wir fragen: “in welchem System ‘beweisbar’?”, so müssen wir auch fragen: “in welchem System ‘wahr’?”. ‘In Russell's System wahr’ heisst, wie gesagt: in Russell's – 250
– System bewiesen; und ‘in
Russell's System
falsch’ heisst: das Gegenteil sei in
Russell's System
bewiesen. –
Was heisst nun Dein: “angenommen,
er sei falsch”?
In Russell's Sinne heisst es; ist
das Deine Annahme, so wirst Du jetzt die Deutung, er sei
unbeweisbar, wohl aufgeben.
Und unter dieser Deutung verstehe ich die
Ubersetzung in diesem deutschen Satz. –
Nimmst Du an, der Satz sei in
Russell's System
beweisbar, so ist er damit in
Russell's
Sinne wahr und die Deutung
“P ist nicht beweisbar”
ist wieder aufzugeben.
Nimmst Du an, der Satz sei in
Russell's
Sinne wahr, so folgt das Gleich
Gleiche.
Ferner: soll der Satz in einem andern als
Russell's Sinne
falsch sein: so widerspricht dem nicht, dass
er in Russell's
System bewiesen ist.
(Was im Schach “verlieren”
heisst, kann doch in einem andern Spiel das
Gewinnen ausmachen.) // , darin kann doch in einem
andern Spiel das Gewinnen bestehen. // |
|
Was heisst es denn: “P” und
“P ist
unbeweisbar” seien der gleiche Satz?
Es heisst, dass diese
zwei deutschen Sätze in der und der Notation
einen Ausdruck haben. |
|
“Aber P kann doch nicht beweisbar
sein, denn, angenommen es wäre bewiesen, so wäre der Satz bewiesen,
– 251 – er sei nicht
beweisbar.”
Aber wenn dies nun bewiesen wäre, oder wenn ich glaubte –
vielleicht durch Irrtum – ich hätte es bewiesen, warum sollte ich
den Beweis nicht gelten lassen und sagen, ich müsse meine Deutung
“unbeweisbar” zurückziehen? |
|
Nehmen wir an, ich beweise die Unbeweisbarkeit (in
Russell's
System) von P; so habe ich mit diesem
Beweis P bewiesen.
Wenn nun dieser Beweis einer in
Russell's
System wäre, – dann hätte ich also zu gleicherzeit seine Zugehörigkeit und Unzugehörigkeit zum
Russell'schen
System bewiesen. –
Das kommt davon, wenn man solche Sätze bildet. –
Aber hier
|
|
Schadet der Widerspruch, der entsteht wenn Einer sagt:
“Ich lüge. – Also lüge ich nicht. –
Also lüge ich. –
Eetc.”
Ich meine: ist unsere Sprache dadurch weniger brauchbar,
dass man in diesem Fall aus einem Satz nach den
gewöhnlichen Regeln sein Gegenteil und daraus wieder ihn folgern
kann? – der Satz selbst ist unbrauchbar, und ebenso
dieses Schlüsseziehen; aber warum soll man es nicht tun? –
Es ist eine brotlose Kunst! –
Es ist ein Sprachspiel, das Ahnlichkeit mit dem Spiel
des Daumenfangens hat. – 252
– |
|
Interesse erhält so ein Widerspruch nur dadurch,
dass er Menschen gequält hat und dadurch zeigt, wie
aus der Sprache ⋎ quälende Probleme wachsen können;
und was für Dinge uns quälen können. |
|
Ein Beweis der Unbeweisbarkeit ist quasi ein geometrischer Beweis; ein
Beweis, die Geometrie der Beweise betreffend.
Ganz analog einem Beweise etwa, dass die und die
Konstruktion nicht mit Zirkel und Lineal ausführbar ist.
Nun enthält so ein Beweis ein Element der Vorhersage, ein
physikalisches Element.
Denn als Folge dieses Beweises sagen wir ja einem Menschen:
“Bemüh' Dich nicht, eine Konstruktion
(der Dreiteilung des Winkels, etwa) zu finden, – man kann
beweisen, dass es nicht geht.”
Das heisst: es ist wesentlich,
dass sich der Beweis der Unbeweisbarkeit in dieser
Weise soll anwenden lassen.
Er muss – könnte man sagen – für uns ein
triftiger Grund sein, die Suche nach einem Beweis (also
einer Konstruktion der und der Art) aufzugeben.
Ein Widerspruch ist als eine solche Vorhersage unbrauchbar. |
|
Ob etwas mit Recht der Satz genannt wird “X ist
unbeweisbar”, hängt davon ab, wie wir diesen Satz beweisen.
Nur der Beweis zeigt, was als das Kriterium der Unbeweisbarkeit
gilt.
Der Beweis ist ein Teil des Systems von Operationen, des Spiels, worin
der Satz gebraucht wird, und zeigt uns seinen
‘Sinn’.
Es ist also die Frage ob der “Beweis der Unbeweisbarkeit’ ˇvon p hier ein triftiger Grund ist zur Annahme daß ein Beweis von p nicht gefunden werden wird. – 253 –
Der Satz “p ist unbeweisbar’ hat einen andern Sinn, nach dem, – als ehe er bewiesen ist. Ist er bewiesen, so ist er die Schlussfigur des Unbeweisbarkeitsbeweises. – Ist er unbewiesen, so ist ja noch nicht klar, was als Kriterium seiner Wahrheit zu gelten hat, und sein Sinn ist – kann man sagen – noch verschleiert. |
|
Wie, soll ich nun annehmen, ist P bewiesen?
Durch einen Unbeweisbarkeitsbeweis? oder auf eine andere
Weise?
Nimm an, durch einen Unbeweisbarkeitsbeweis.
Nun, um zu sehen, was bewiesen ist, schau auf den
Beweis!
Vielleicht ist hier bewiesen, dass die und die Form
des Beweises nicht zu P führt. –
Oder, es sei P auf eine direkte Art
bewiesen – wiei ich einmal sagen will –, dann folgt
also der Satz “P ist unbeweisbar”, und
es muss sich nun zeigen, wie diese Deutung der
Symbole von P mit der Tatsache des
Beweises kollidiert und warum sie hier aufzugeben sei.
Angenommen aber, P sei bewiesen. – Wie bewiesen? Etwa dadurch, dass P direkt bewiesen ist – denn daraus folgt, dass es beweisbar ist, also . Was soll ich nun aussagen: “P”, oder “ P”? Warum nicht beides? Wenn mich g jemand fragt: “Was ist der Fall – P, oder nicht-P?”, so antworte ich: “ P” steht am Ende eines Russell'schen Beweises, Du schreibst also im Russell'schen System: “ P”; anderseits ist es aber eben beweisbar und dieser drückt man durch “ P” – 254 – aus, dieser Satz aber steht
nicht am Ende eines
Russel'schen Beweises, gehört also nicht zum
Russell'schen
System. –
Als die Deutung “P ist unbeweisbar” für
P gegeben wurde, da kannte man
ja
Angenommen P sei direkt bewiesen; es ist also bewiesen, dass sich P direkt beweisen lässt! Das ist also wieder eine Frage der Deutung – es sei denn, dass wir nun auch einen direkten Beweis von P haben. Wäre es nun so, nun, so wäre es so. – (Die abergläubische Angst und Verehrung der Mathematiker vor dem Widerspruch.) |
|
“Aber angenommen, der Satz wäre nun falsch
– und daher beweisbar! –”
Warum nennst Du ihn ‘falsch’?
Weil Du einen Beweis siehst? –
Oder aus andern Gründen?
Dann macht es ja nichts.
Man kann ja den Satz des Widerspruchs sehr wohl falsch nennen, mit der
Begründung z.B., dass wir sehr
oft mit gutem Sinn auf eine Frage antworten: “Ja,
und nein.”
Und
– 255 –
Du sagst: “ Du sagst: “…” also ist P wahr und unbeweisbar.” Das heisst wohl: “Also P.” Von mir aus – aber zu welchem Zweck schreibst Du diese ‘Behauptung’ hin? (Das ist, als hätte jemand aus gewissen Prinzipien üb[r|e]r Naturformen und Baustiel abgeleitet, auf den Mount Everest, wo niemand wohnen kann, gehöre ein Schlösschen im Barockstiele.) Und wie könntest Du mir die Wahrheit der Behauptung plausibel machen, da Du die ja zu nichts weiter brauchen kannst als zu jenen Kunststückchen? |
|
Man muss sich hier daran erinnern,
dass die Sätze der Logik so konstruiert sind,
dass sie als Information
keine Anwendung in der Praxis haben.
Man könnte also sehr wohl sagen, sie seien gar nicht
Sätze; und dass man sie überhaupt
hinschreibt, bedarf einer Rechtfertigung.
Fügt man diesen ‘Sätzen’ nun ein weiteres
S satzartiges Gebilde andrer Art hinzu, so sind wir
hier schon erst recht im Dunkeln darüber, was dieses System von
Zeichenkombinationen nun für eine Anwendung, für einen Sinn haben soll,
denn der blosse Satzklang dieser
Zeichenverbindungen gibt ihnen ja eine Bedeutung noch nicht.
|
To cite this element you can use the following URL:
BOXVIEW: http://wittgensteinsource.com/BTE/Ts-223_d