Unendliche Möglichkeit.
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                         Verschiedene Verwendung des Wortes “können” in den Sätzen: “in dieser Richtung können 3 Dinge liegen” und “in dieser Richtung können unendlich viele Dingen liegen”. Welche[r|n] Sinn, d.h. welche Grammatik, könnte nun so eine Ausdrucksweise haben? Man könnte z.B. sagen: “in der natürlichen Zahlenreihe 1, 2, 3, 4, … können auf die “1” unendlich viele Ziffern folgen”; das heisst dasselbe wie: “die Operation + 1 darf immer wieder (oder: ohne Ende) gebraucht werden. Wenn also z.B. Einer nach der Ziffer 100 die Ziffer 100 + 1 anschreibt. so hat er nach jener Regel das Recht dazu. Dagegen hat es hier keinen Sinn, zu sagen: “wenn es erlaubt ist unendlich viele Ziffern hinzuschreiben, so schreiben wir unendlich viele Ziffern hin (oder versuchen es)!” – Ich würde, den, der das sagt, darauf hinweisen, dass “unendlichviele” nicht als Zahlwort gebraucht ist; dass ˇes nicht in die Form “ich schreibe n Ziffern” statt dem n eingesetzt werden darf. Dass also, was ich erlaube, nicht ist, eine bestimmte Anzahl von Ziffern hinzuschreiben (nämlich eine Anzahl, die etwa “unendlichviele” hiesse, denn so habe ich keine der Ziffern genannt), sondern: dass man in dem Anschreiben von Ziffern nach der gegebenen Regel soweit gehen darf, als man will, wie weit das auch sein mag. Ich darf dann natürlich auch nicht sagen: “ich kann in dem Anschreiben der Ziffern soweit gehn, als ich will, aber nicht bis zur Anzahl Unendlich”, weil ja von so einer Ziffer “[U|u]nendlich” gar keine Rede ist (da ich keine solche eingeführt habe). “Es können … unendlich viele Ziffern folgen” könnte also besser gesagt werden: “Es können … unendlich Ziffern folgen”. “Unendlich” wird hier also adverbial gebraucht.
        Analog, wenn ich sage, eine Division erzeugt einen unendlichen Dezimalbruch, so gibt es nicht ein Resultat der Division, das “unendliche[n|r] Dezimalbruch” heisst, in dem Sinn, in welchem die Zahl 0,142 ein Resultat von 1 : 7 ist. Die Division liefert nicht als Endresultat eine Dezimalzahl, oder eine Anzahl von Dezimalzahlen – vielmehr kann man nicht von “ihrem Endresultat” reden; und sie liefert endlos Dezimalbrüche; nicht
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“einen endlosen Dezimalbruch”. “Endlos” wird adverbial gebraucht.
        Denken wir uns nun folgenden Fall: Ich hätte ein besondere Art Würfel konstruiert und würde nun voraussagen: “ich werde mit diesem Würfel die Stellen von II würfeln”. Diese Aussage ist von anderer Form, als die scheinbar analoge: “ich werde mit diesem Würfel die ersten 10 Stellen von II würfeln”. Denn im zweiten Fall gibt es einen Satz “ich werde in einer Stunde die ersten 10 Stellen von II gewürfelt haben”, während dieser Satz unsinnig (nicht falsch) wird, wenn ich in ihm statt “die ersten 10 Stellen” “die Stellen” setze. Würde ich nun sagen: “es ist möglich, mit einem Würfel unendlich oft zu würfeln”, so könnte das heissen “es ist jede beliebige Anzahl von Würfeln möglich, denkbar” und nicht, es sei eine bestimmte Anzahl von Würfen denkbar, die “unendlich” hiesse. “Unendlich oft” hiesse “beliebig oft”, und zu sagen: “wenn Du unendlich oft würfeln kannst, so tue es”, hiesse: “wenn Du beliebig oft werfen kannst, so tue es”. (Diener: “Und wann pflegen der Herr Baron zu speisen?” Neuer Reicher: “Ich speise, wann vornehme Herren speisen”. – Diener: “Vornehme Herren speisen zu verschiedenen Zeiten”. – N.R.: “So werde ich auch zu verschiedenen Zeiten speisen”.) Im Satz “es ist jede beliebige Anzahl von Würfen möglich” kann “möglich” soviel heissen wie “logisch möglich” und d (“denkbar”) und dann ist der Satz // ist er // eine Regel, kein Erfahrungssatz, und von analoger Art, wie die Regel: “auf 1 können endlos Ziffern folgen”. Wir könnten ihn aber auch als eine Art Hypothese, für welche keine Verifikation vorgesehen ist, aber eine Falsifikation, und er wäre also ein Satz von andrer Art (‘Satz’ in einem andern Sinne) als der Erfahrungssatz: “es sind mit diesem Würfel 3 Würfe möglich”. Dieser – im Gegensatz zu der Regel “es sind 3 Würfe denkbar” – würde etwa sagen: “der Würfel wird nach 3 Würfen noch brauchbar sein”; die Hypothese “es sind mit diesem Würfel unendlich viele Würfe möglich” würde sagen: “so oft man auch würfelt, dieser Würfel wird nicht abgenützt werden”. Dass dies Sätze
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von verschiedener Art sind, sieht man sehr klar, wenn man an den unsinnigen Befehl “würfle unendlich oft” oder “würfle ad infinitum” denkt, im Gegensatz zum sinnvollen: “würfle 3mal”. Denn für den Befehl ist die Kontrolle seiner Ausführung wesentlich.

 
   
   Wenn wir sagen möchten, die Unendlichkeit ist eine Eigenschaft der Möglichkeit, nicht der Wirklichkeit, oder: das Wort “unendlich” gehöre immer zum Wort “möglich”, und dergleichen, – so kommt das darauf hinaus, zu sagen: das Wort “unendlich” sei immer ein Teil einer Regel.
   Wir w[h|e]hren uns gegen die Auffassung des Unendlichen, als einer ungeheuern Grösse. (Die wir merkwürdigerweise ohne Schwierigkeit erfassen, während eine grosse endliche Zahl zu gross sein kann, um von uns hingeschrieben zu werden. Gleichsam, als könnten wir uns zwar durch die Reihe der endlichen Zahlen nicht durcharbeiten, aber wohl von aussen herum zum Unendlichen gelangen.)
   Denken wir uns, wir erzählten jemandem: “gestern kaufte ich mir ein Lineal mit unendlichen Krümmungsradius”. Aber hier kommt doch das Wort “unendlich” in einer Beschreibung der Wirklichkeit vor. – Aber ich kann doch nie die Erfahrung haben, die mich berechtigte zu sagen, dass das Lineal wirklich den Radius unendlich hat, da der Radius 100¹⁰⁰km es gewiss auch schon tut. – Wohl, aber dann kann ich eben auch nicht die Erfahrung haben, die mich berechtigt, zu sagen, das Lineal sei gerade. Und die Worte “gerade” (oder ein andermal “parallel”) und “unendlich” sind im gleichen Fall. Ich meine: Wenn das Wort “gerade”, oder “parallel, oder “längengleich”, etc. etc. in einem Erfahrungssatz // in einer Beschreibung der Wirklichkeit // stehn darf, dann auch das Wort “unendlich”.
   “Unendlich ist nur die Möglichkeit” heisst “‘unendlich’ ist ein Zusatz zu ‘u.s.w.’”. Und soweit es dies ist, gehört es in eine Regel, ein
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Gesetz. In die Beschreibung der Erfahrung gehört es nur soweit nicht, als man unter “Erfahrung, die einem Gesetz entspricht” eine endlose Reihe von Erfahrungen meint. – Das Wort “unendlich ist nur die Möglichkeit, nicht die Wirklichkeit” ist irreleitend. Man kann sagen: “unendlich ist hier nur die Möglichkeit”. – Und man fragt mit Recht: Was ist denn an dieser Hypothese (vom Lauf des Kometen z.B.) unendlich? ist an dieser Annahme, an diesem Gedanken, etwas ungeheuer gross?!
   Denken wir uns, die Fee im Märchen sagte: “Du wirst so viel Goldstücke erhalten, als Du Dir wünscht, aber Du darfst nur einmal wünschen”. – Ist ihr Versprechen nicht erfüllt, wenn ich kriege, was ich mir wünsche? Und [d|w]ar meine Wahl nicht unbeschränkt? Wäre der Fall nicht eine anderer gewesen, wenn sie dem Betrag eine Grenze gesetzt hätte, – wie weit immer sie sie auch gezogen hätte? // … sie die Grenze auch gezogen hätte? //
   Kann ich nun nicht sagen: die Freiheit, die mir die Fee gelassen hat, war unendlich? Und ist damit eine Wirklichkeit beschrieben? – Wenn nun Einer sagt: “Nein, die Freiheit der Wahl ist nur eine Möglichkeit”, so vermengt er die Aussage: dass mir die Fee eine unendliche Freiheit gelassen hat, – welche // welches // keine Regel der Grammatik ist –, mit der Regel, die mir erlaubt, in Uebereinstimmung mit dem Versprechen der Fee eine beliebige Zahl von Goldstücken zu nennen.
   Man könnte das auch so sagen: Wenn der Begriff der Unendlichkeit in der Beschreibung der Realität angewendet wird, so ist in solchen Beschreibungen nicht von ‘unendlichen Linealen’ die Rede, sondern etwa von Linealen mit unendlichem Krümmungsradius; und nicht von ‘unendlich vielen Goldstücken’, sondern etwa von der unendlichen Freiheit, die mir Einer lässt, mir Goldstücke zu wünschen.
   Wenn wir sagen: “die Möglichkeit der Bildung von Dezimalstellen in der Division 1 : 3 ist unendlich”, so stellen wir damit keine Naturtatsache fest, sondern geben eine Regel des Kalküls. Sage ich aber: “ich
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lasse Dir die unendliche Freiheit, so viele Stellen zu bilden, als Du willst, ich werde Dich nicht hindern”, so stelle ich damit nicht die Regel eines Kalküls auf, sondern mache eine Vorhersage. Ja, aber doch nur als Beschreibung einer Möglichkeit”. – Nein, einer Wirklichkeit! aber natürlich nicht der von “unendlich v[k|i]elen Stellen”; das wäre doch gerade der grammatische Fehler // der Unsinn // , den wir vermeiden müssen.
   Und es bleibt natürlich in diesen Erfahrungssätzen “unendlich” die Eigenschaft einer Regel, wenn man es so ausdrücken will, und das heisst nichts anderes, als dass es auch hier durch “u.s.w. ad inf.” wiedergegeben werden kann; und zugleich ist das auch alles, was damit gemeint ist, wenn man sagt: die Unendlichkeit sei ein Prädikat der Möglichkeit.

 
   
   Angenommen, in einem Spiel lautete eine Spielregel: “Man schreibe einen Bruch auf, der zwischen 0 und 1 liegt”; – ist diese Regel nicht ganz verständlich[,|?] braucht hier eine Einschränkung gegeben zu werden? (oder die Regel: Man schreibe eine Zahl auf, die grösser als 100 ist”.)

 
   
   Die Grammatik kann ihre Regeln nicht auf gut Glück allgemein aussprechen (d.h. sie offen lassen).

 
   
   Denken wir uns ein Damespiel, in dem es erlaubt wäre, ein beliebig grosses Brett zu verwenden, ich meine ein Brett mit einer beliebig grossen Anzahl von Feldern (also 64, 81, 100 etc.). D.h. natürlich nicht “es ist erlaubt, ein Brett mit unendlich vielen Feldern zu verwenden. Wir könnten dieses Spiel nicht gut ein unendliches nennen.

 
   
   Die Möglichkeit entspricht immer einer Erlaubnis in den grammatischen
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Spielregeln.
   Dem, was man unendliche Möglichkeit nennt, entspricht etwas, was man eine unendliche Erlaubnis nennen könnte. Und das ist natürlich nicht die Erlaubnis, etwas Unendliches zu tun.

 
   
   Die unendliche Teilbarkeit besteht darin, dass jede beliebige endliche Anzahl von Teilen denkbar ist (aber keine unendliche).

 
   
   Wenn man sagt: “der Raum ist unendlich teilbar”, so heisst das eigentlich: der Raum besteht nicht aus einzelnen Dingen (Teilen). Die unendliche Teilbarkeit bedeutet in gewissem Sinne, dass der [T|R]aum nicht teilbar ist, dass eine Teilung ihn nicht tangiert. Dass er damit nichts zu tun hat: Er besteht nicht aus Teilen. Er sagt gleichsam zur zur Realität: Du kannst in mir machen, was Du willst. (Du kannst in mir so oft geteilt sein, als Du willst.)
   Der Raum gibt der Wirklichkeit eine unendliche Gelegenheit der Teilung.

 
   
   (Und darum steht in der ersten Klammer vom “(n):(Enx).fx” nur ein Buchstabe. Offenbar nur eine Gelegenheit, nichts anderes. – Wir denken zu wenig daran, dass das Zeichen wirklich nicht mehr bedeuten kann, als es ist. // als wir es bedeuten lassen. // )

 
   
   ““Die Zeit erscheint uns essentiell als unendliche Möglichkeit. Und zwar, offenbar, unendlich nach dem, was wir über ihre Struktur wissen.”” D.h. unendlich, nach ihrer Grammatik.

 
   
   Die Grammatik ist nicht unendlich kompliziert, weil sie die endlose Bildung von Zahlzeichen zulässt.
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   Es muss, um die unendliche Möglichkeit zu erklären, genug sein, auf die Züge des Zeichens hinzuweisen, die uns eben zur Annahme dieser end unendlichen Möglichkeit führen, besser: aus denen wir diese unendliche Möglichkeit ersehen. Das heisst (nur), das Tatsächliche des Zeichens muss genügen, und nicht die Möglichkeiten des Zeichens in Betracht kommen, die sich nur wieder in einer Beschreibung von Zeichen zeigen könnten. Es muss also in dem Zeichen “/1, x, x + 1/” – dem Ausdruck der Bildungsregel – schon alles enthalten sein. Ich darf mit der unendlichen Möglichkeit nicht wieder ein mythisches Element in die Logik // Grammatik // einführen. Beschreibt man den Vorgang|der Division 1˙
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: 3 = 0˙3, der zu dem Quotienten 0,3 und dem Rest 1 führt, so muss in dieser Beschreibung schon die unendliche Möglichkeit der Fortsetzung mit immer dem gleichen Erfolg liegen, denn etwas Anderes ist uns ja nicht gegeben, wenn wir sehen, “dass es immer so weiter gehen muss”.
   Und wenn wir die “unendliche Möglichkeit der Fortsetzung sehen”, so können wir doch nichts sehen, was nicht beschrieben ist, wenn wir eben das Zeichen beschreiben, was wir sehen.